Europatage an der GFS (Teil 1)

Mit dem Ukraine-Krieg ist das Thema Europa aktueller denn je. Die drei "Europatage" vom 15.-17. Juni boten für viele Schüler(innen) die Chance, mit außerschulischen Expert(inn)en ins Gespräch zu kommen.

In den letzten Wochen und Monaten mussten wir leider schmerzlich erfahren, dass die Selbstverständlichkeiten der vergangenen Jahre für uns, für unsere Gesellschaft und für unsere Lebensweise nicht selbstverständlich sind: Der Frieden, unsere Werte und unsere Demokratie werden immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Die Schülerinnen und Schüler unserer Schule wachsen in einer Zeit der Unsicherheit und von immer rasanter werdenden Veränderungen auf. Unsere Aufgabe als Schule muss es dabei sein, dass wir den Jugendlichen das nötige Handwerkszeug mit auf den Weg geben, damit sie sich später im Leben zurechtfinden können und auch die richtigen Entscheidungen treffen können. So muss es unsere Aufgabe sein, unsere Schülerinnen und Schüler dahingehend zu schulen, dass sie ein eigenes Urteil fällen können.

Der seit dem 24.2.2022 stattfindende Krieg in der Ukraine, bei dem die Russische Föderation einen Angriffskrieg gegen ein westlich orientiertes Land führt, hat uns diese Notwendigkeit besonders vor Augen geführt. Bereits kurz nach dem Ausbruch des Krieges im Februar dieses Jahres wurde dieses deutlich: Die Schülerinnen und Schüler der unterschiedlichen Jahrgangsstufen stellten unabhängig vom Fach uns Kolleginnen und Kollegen Fragen über die Vorgänge und Ereignisse in der Ukraine. Bei diesen Fragen wurde deutlich, dass ein unglaublicher Wissensdrang und auch eine Unsicherheit und zum Teil eine große Angst bei den Schülern bestand. Gleichzeitig wurden aber auch Kontroversen innerhalb der Schülerschaft deutlich: So besuchen selbstredend nicht nur deutsche Schülerinnen und Schüler unsere Schule, sondern auch ukrainisch-stämmige oder russisch-stämmige Schülerinnen und Schüler, die ihre jeweiligen individuellen Perspektiven auf diesen Krieg mit in die Schule bringen.

Um diesen von den Kolleginnen und Kollegen erfahrenen Wissensdrang und auch dem unter der Schülerschaft herrschenden Diskussionsdrang Rechnung zu tragen, entschieden wir uns dafür den alljährlich stattfindenden Europatag unserer Schule sowohl im Hinblick auf die Dauer als auch im Hinblick auf die Jahrgangsstufen auszuweiten.

Ein Organisationsteam, bestehend aus unserem Schulleiter Herrn Buse, den Kollegen Dr. Johannes Fioole, Dr. Jens Gering, Dominic Hermes und Dr. Armin Schneider, traf sich regelmäßig, um ein differenziertes Angebot für die Schülerinnen und Schüler zusammenzustellen. Dabei sollten nicht nur interessierte Kolleginnen und Kollegen Workshop-Angebote machen, sondern auch externe Referenten auf Grundlage von Kontakten innerhalb des außerschulischen Engagements der Kollegen gewonnen werden. Ziel war es dabei, unterschiedliche Expertisen und unterschiedliche Perspektiven anzubieten und die Schülerinnen und Schüler damit zu konfrontieren, denn auch diese Sichtweisen sind in Folge eines Erkenntnisprozesses und der Erzielung einer Urteilskompetenz unabdingbar.

Text: Dominic Hermes

Als Referent(inn)en für Schüler(innen) ab Jahrgang 9 konnten gewonnen werden: Die Europa-Abgeordnete Viola von Cramon-Taubadel, der Landtagsabgeordnete Marcel Scharrelmann, der Politologe Prof. Nitschke von der Uni Vechta, die Presseoffizierin Frau Bauersfeld von der Bundeswehr sowie Anke Smollich und Daniel Korth vom NLQ. Darüber hinaus boten die Lehrkräfte Herr Gering, Herr Müller, Herr Schneider und Herr Wiggermann Workshops für den Jahrgang 10 an.

Der Politikwissenschaftler Prof. Nitschke von der Universität Vechta erläuterte am Freitagmorgen den Schüler(inne)n des Jahrgangs 12 in einer 90-minütigen Veranstaltung in der Mensa die historischen Hintergründe des Ukraine-Krieges.

Der russische Einmarsch in ukrainisches Staatsgebiet ab dem 24. Februar sei ein Bruch des Völkerrechts gewesen, da das Regime Putins die staatlichen Grenzen Russlands nicht akzeptiere, sondern Russland als das Gebiet definiere, auf dem Russen leben. Diese gefährliche Denke führe unweigerlich zu Konflikten und Krieg.

Das Interesse Putins an der Ukraine sei in der Geschichte beider Völker zu suchen. Prof. Nitschke verdeutlichte die wichtige Rolle Kiews und der Kiewer Rus für die Genese der russischen Kultur. Viele Russen sähen das „Brudervolk“ der Ukrainer als „Kleinrussen“. Putin habe vor diesem Hintergrund Angst, dass sich die Ukraine vermehrt von Russland abwenden und sich dem Westen zuwenden könne. Diesen Machtverlust Russlands wolle er verhindern und er halte westliche Gesellschaften wie die Bundesrepublik Deutschland für zu schwach und dekadent, um Russland hierbei aufzuhalten.

Dass die Ukraine im Jahr 1994 ihre Atomwaffen an Russland abgab und im Gegenzug die vertragliche Garantie bekam, Russland werde ihre Grenzen akzeptieren, sei aus heutiger Sicht ein Fehler gewesen. Das Regime Putins halte sich nicht an Verträge. Deshalb rät Herr Nitschke auch davon ab, auf Verhandlungen mit dem Regime in Moskau zu setzen. Nur ein militärischer Sieg der Ukraine schaffe für die Region nachhaltige Sicherheit.

Aber auch der Westen habe Fehler gemacht. Er habe 2014 die russische Annexion der Krim akzeptiert und den langen und schwierigen Demokratisierungsprozess in der Ukraine damit nicht ausreichend unterstützt. Stattdessen habe sich auch die Bundesrepublik vom „neo-faschistischen“ Regime Moskaus noch abhängiger gemacht als ohnehin schon. Vom westlichen Geld für Öl- und Gaslieferungen werde der russische Staat im Wesentlichen finanziert – und damit auch der Angriffskrieg auf die Ukraine oder andere völkerrechtswidrige Militäroperationen in Tschetschenien, Georgien und Syrien.

Nach dem Beantworten von z.T. klugen Fragen aus dem Plenum entließ Prof. Nitschke die Schüler(innen) mit dem Appell, sich breit über den Ukraine-Krieg zu informieren, also mehrere Medien gleichzeitig (auch ausländische) zu konsumieren. Von westlichen Regierungen wünscht er sich eine stärkere Unterstützung der Ukraine. Putin dürfe mit seinem Großmachtstreben nicht durchkommen. Ideologisch habe er bereits verloren – das zeige der große Verteidigungswille der Ukrainer.

Text: Jens Gering   

Am Mittwoch, dem 15. Juni fand der Workshop "Ukraine - ein Kandidat für die EU?" in der Klasse 10d bei Herrn Müller und Herrn Wiggermann statt:

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Leben der gesamten ukrainischen Bevölkerung völlig umgeworfen. Nach den ersten Tagen des Krieges kamen ukrainische Familien auch in Diepholz und an der Graf-Friedrich-Schule an. Die Schicksale ukrainischer Flüchtlinge treiben seitdem auch viele Schülerinnen und Schüler an der Graf-Friedrich-Schule um. In kurzer Zeit bildete die GFS eine ukrainische „Willkommensklasse“, die sich bereits im Lauf des Frühjahrs 2022 in die deutschsprachigen „Normalklassen“ auflöste. Dabei arbeiten viele ukrainische Schülerinnen und Schüler doppelt – morgens an der GFS und nachmittags im digitalen Unterricht der ukrainischen Heimatklassen in Kiew, Charkiw und Lwiw.

Im Raum lesen wir die Zeit, sagt der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel. Ausgehend von einer intensiven Kartenanalyse, haben die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10d (begleitet von Herrn Müller und Herrn Dr. Wiggermann) am 15. Juni 2022 einen Vormittag lang die verschiedenen „Zeiten“ der ukrainischen Nationsbildung „gelesen“: vom Ursprungsmythos der Kiewer Rus, aus welcher die russische, die ukrainische und die weißrussische Sprache entstehen, über die polnisch-litauische, die österreichisch-galizische sowie russische Zeit der Ukraine (im 19. Jahrhundert)

bis zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (seit 1922), zur Unabhängigkeit der Ukraine 1991 und den Revolutionen 2004 und 2014.

Ähnlich der polnischen Geschichte unterlag die Nationsbildung des „Grenzlands“ Ukraine, einer Nation meist ohne Staat, jahrhundertelang der „Macht der Geographie“, das heißt der imperialistischen Gier der Nachbarn – bis zur Invasion des Putin-Regimes am 24. Februar 2022.

Wir wollten am 15. Juni aber nicht über die Ukraine reden, sondern mit Ukrainern sprechen. Ein Doppelinterview mit Wolodymyr Chupryn und Maryna Bogdan, die mit ihren Familien bereits sehr früh aus Kiew nach Diepholz gekommen waren, bildete einen ebenso bewegenden wie erkenntnisreichen Höhepunkt des Schulvormittags. Beiden Familien, Chupryn und Bogdan, sind die schlimmsten Kriegserfahrungen erspart geblieben, sodass ein Gespräch über Vergangenheit und Gegenwart der Ukraine möglich war, ohne die deutschen Jugendlichen zu überfordern.

„Dreimal Ukraine und zwei Leben“ umspannte das Interview, das ein Schüler mühelos übersetzen konnte – von der sowjetisch geprägten Zeit über die Revolutionen 1991, 2004 und 2014 bis zum Krieg heute. Anschaulich wurde die zweisprachige Normalität des Landes Ukraine, die bis in den Familienalltag hineinreichte: Es gab keinen Konflikt zwischen den Sprachen (Ukrainisch und Russisch) oder zwischen den Menschen, die in der Ukraine (und in Russland) zwischen den Sprachen hin- und herpendelten. Vielmehr möchte die ukrainische Bevölkerung sich ihre 1991 (und 2004/14) errungene demokratische Freiheit nicht von einem diktatorischen Regime in Moskau nehmen lassen.

Text: Frank Wiggermann

In einem vierstündigen Workshop zum Thema „Kriegspropaganda“ setzten sich die Schüler(innen) der 10b bei Herrn Gering mit Desinformation und Fakes in modernen Medienkriegen auseinander.

Ausgangspunkt waren die „10 Prinzipien der Kriegspropaganda“, die der britische Politiker Lord Arthur Ponsonby vor dem Hintergrund des 1. Weltkriegs vor gut 100 Jahren herausarbeitete. Spätestens in diesem Weltkrieg wurde klar, dass Kriege nicht nur auf dem Schlachtfeld gewonnen werden. Propaganda war und ist ein wichtiges Mittel, um die Motivation der eigenen Bevölkerung zu steigern und die Moral des Feindes zu schwächen.     

Dass die Prinzipien der Propaganda im Laufe der Jahrzehnte gleich blieben, arbeiteten die Schüler(innen) bei einem Vergleich der Rede Wladimir Putins vom 24.2.2022 zur Legitimation des russischen Angriffs mit der Rede Adolf Hitlers vom 1.9.1939 zur Rechtfertigung des deutschen Angriffs auf Polen heraus. Es zeigten sich erstaunliche Parallelen bei der jeweiligen Selbstdarstellung und der Darstellung des „Feindes“.

Verändert haben sich in den letzten 100 Jahren natürlich die Medien der Propagandisten. Gerade Social Media bietet ihnen fast unendliche Möglichkeiten der Desinformation: Manipulierte Worte, Bilder und Videos sind schnell erstellt und können sich rasend schnell im Netz verbreiten. Diese Gefahr war natürlich auch den Schüler(inne)n bewusst, die vielfach selbst bereits Erfahrungen mit Fake News sammelten. Daher war es wichtig, am Ende des Workshops herauszuarbeiten, wie man sich vor Falschinformationen schützen kann.

„Das 1. Opfer des Krieges ist die Wahrheit!“ (Aphorismus aus der Zeit des 1. Weltkriegs). Sich dessen bewusst zu werden und aktiv damit umgehen zu können, war das Ziel dieses Workshops, bei denen die Schüler(innen) der 10b konzentriert und interessiert mitarbeiteten.

Text: Jens Gering